Nach Absage:Fokus auf die Flucht der Palästinenser

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Im Eine-Welt-Zentrum holt Jürgen Schulz seinen von der VHS abgesetzten Vortrag über Israel nach. Er spricht über das Schicksal der Holocaustüberlebenden und die Folgen des Unabhängigkeitskriegs

Von Peter Bierl, Fürstenfeldbruck

Im Herbst hat die Volkshochschule Fürstenfeldbruck einen Vortrag von Jürgen Schulz unter dem Titel "Vom Ammersee nach Palästina - Hoffnung auf eine neue Heimat in Eretz-Israel" abgesagt. Eine offizielle Begründung gab es nicht, tatsächlich fürchtete man antisemitische Aussagen des Referenten. Am Freitag holte Schulz seinen Vortrag im Eine-Welt-Zentrum nach, dessen Vorsitzender er jahrelang war. Der 77-Jährige referierte über die jüdischen Überlebenden der deutschen Vernichtungslager in der Region, wobei er über das Jüdische Komitee in Bruck nichts Neues berichtete, die Umstände ihrer Auswanderung sowie die Gründung des Staates Israel.

Unerwähnt ließ Schulz, dass der Zionismus als Reaktion auf den militanten Antisemitismus in Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn und Russland Ende des 19. Jahrhunderts entstand. Die meisten Juden flohen aus dem Zarenreich in die USA und nicht in den Nahen Osten. Es fehlte auch der Hinweis, dass die in Palästina lebenden Juden von Muslimen als Menschen zweiter Klasse diskriminiert wurden und die neuankommenden Siedler in erster Linie Ödland und brachliegende Felder von heimischen Großgrundbesitzern kauften. Dass sie die Wüste zum Blühen gebracht hätten, würde "übertrieben dargestellt", so Schulz. Er berichtete über den arabischen Aufstand von 1936 und dessen Anführer Haj Al-Husseini, den Großmufti von Jerusalem, der nach Deutschland flüchtete und "die Nähe der NS-Eliten suchte und fand", wie Schulz formulierte. Nicht gesagt wurde, dass Al-Husseini von Anfang an ein fanatischer Antisemit war, der die Nationalsozialisten anfeuerte, in ihrem Vernichtungswillen nicht nachzulassen. Er und seine Anhänger schalteten vor dem Aufstand alle Kräfte auf arabischer Seite aus, die für eine Verständigung eintraten.

Jürgen Schulz war jahrelang Vorsitzender des Brucker Eine-Welt-Zentrums. Vor wenigen Wochen hat die Volkshochschule seinen geplanten Vortrag abgesagt. (Foto: Günther Reger)

Ausführlich widmete sich Schulz der Flucht der Palästinenser. Im Unabhängigkeitskrieg von 1948 vertrieben israelische Einheiten arabische Zivilisten, bei den Kämpfen um Deir Jassin wurden viele von ihnen von rechten Milizen getötet. Aber die Massenflucht setzte früher ein, nämlich als die arabischen Nachbarstaaten 1947 die Zwei-Staaten-Lösung der UN ablehnten. Sie kündigten an, Israel und die Juden zu vernichten und forderten die Palästinenser auf, sich in Sicherheit zu bringen. Das sagte Schulz nicht, sondern präsentierte eine Grafik zur Bevölkerungsentwicklung von 1918 bis 1948 ohne Quellenangabe.

Hinterher sagte Schulz auf Nachfrage der SZ, die Grafik habe er selbst zusammengestellt, die Zahlen stammten aus dem britischen Zensus. Es sei dahin gestellt, wie aussagekräftig eine Volkszählung sein kann, die die Briten 1918 in den wenigen Wochen nach Kriegsende noch durchgeführt haben sollen. Zumal die exakte Grenze des Mandatsgebiets völkerrechtlich noch nicht feststand. Das Mandat wurde erst 1920 vom Völkerbund übertragen und schloss bis 1923 das heutige Jordanien ein, was den Anteil der Araber erhöht. Die Zahlen von 1918 beziehen sich laut Schulz auf das gesamte Mandatsgebiet Palästina, die von 1948 aber nur auf Israel, abgesehen von Jordanien fehlen demnach Gaza und Westjordanland. Die in diesen zwei Gebieten lebenden Araber, die nicht geflüchtet waren, fallen aus der Statistik, was die Gesamtzahl der vertriebenen Palästinenser größer erscheinen lässt. Während Schulz sagte, es wären 200 000 Holocaustüberlebende nach Israel ausgewandert und hätten zur Staatsgründung wesentlich beigetragen, stieg seiner Grafik zufolge die Zahl der Juden zwischen 1945 und 1948 nur um knapp 100 000 Personen.

Stadtrat Klaus Quinten (BBV) fand an dem Vortrag nichts auszusetzen. "Das entspricht dem Lehrplan des Gymnasiums, dann müsste man das auch verbieten", sagte er. Unwidersprochen präsentierte ein Zuhörer dem Publikum schließlich seine Erklärung für das Auftrittsverbot bei der Volkshochschule: In Israel existiere ein Ministerium, das in kürzester Zeit von jedem Palästina-Vortrag in der Welt erfahre, "weil sie so einen guten Geheimdienst haben". Dieses Ministerium verhindere kritische Veranstaltungen durch Verleumdung. Jeder werde als Antisemit beschimpft und die Deutschen seien so feige, dass sie immer wieder darauf hereinfielen.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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